Unbewusste Signale im Bild - was wir in Bildern alles sehen
“Alles, was im Bild ist, wird gelesen!“, „Jedes Bild ist voller unbewusster Signale!“, das war ein wichtiger Teil dessen, was mir meine Lehrmeister mitgegeben haben. Wissen aus deren Praxis, das sie nicht müde geworden sind, mir bei meiner Auseinandersetzung mit dem Thema Bilddramaturgie zu vermitteln. Und mit „gelesen“ war nicht nur Text im Bild gemeint, sondern das gesamte Setting, das Umfeld, in dem eine Szene stattfindet.
Das hat im Wesentlichen mit zwei Faktoren zu tun, welche die Wahrnehmung und Bewertung eines Bildes oder einer Szene beeinflussen. Einerseits Ablenkung vom „Wesentlichen“ (also dem, was als wesentliche Bildaussage intendiert ist) und andererseits um Glaubwürdigkeit.
Unbewusste Signale im Bild - die schmutzigen Füße einer angeblichen Oligarchennichte
Wer erinnert sich nicht an die Österreich erschütternden Szenen in einer Finca auf Ibiza, wo zwei Politiker angetreten waren um einer angeblichen Oligarchen-Nichte aus Russland Teile von Österreichs Infrastruktur und die auflagenstärkste Zeitung des Landes zu verhökern. Und was bemerkt der Eine? „Boah, des is a schoaffe Oide!“ und „dreckige Fiaß hat’s!“. Ersteres ist bei intellektuell unterkomplex gestrickten, hormongesteuerten Männchen ja noch verständlich; Zweiteres ist in diesem Kontext wohl eher nebensächlich. Aber es wird „gelesen“.
Heißt also: so nebensächlich kann etwas gar nicht sein, dass es nicht wahrgenommen wird. Sogar von Männern, die mit einer ganz anderen Agenda angetreten sind und selbst in ihrem Referenzsystem doch ergebnisorientiert und fokussiert sein sollten. Was der Umstand der Schmutzfüßigkeit der Dame punkto Glaubwürdigkeit zu denken geben sollte, steht auf einem anderen Blatt.
Unbewusste Signale im Bild - Notausgang und Feuerlöscher
Ich beobachte, dass regionale TV-Sender oft eine Fundgrube für unbewusste Signale sind, die – ihrerseits unbewusst und unbeabsichtigt von ihren Schöpfern – bei Statements mit „Talking Heads“ manchmal Bildkompositionen liefern, welche in meiner Wahrnehmung die eigentliche Bildaussage mitunter fast schon kabarettistisch konterkarieren.
Ein Setting neben dem Klo zum Beispiel, bei dem Personen ein- und ausgehen und sich die Hände trockenreiben oder überrascht zuerst in die Kamera blicken um dann hektisch das Blickfeld zu verlassen. Lesbare Beschilderung von Leitsystemen bevorzugt „Notausgang“, „Kein Zutritt“, ein dekorativer Feuerlöscher hinter der Auskunftsperson oder eine rätselhafte künstlerische Skulptur, die dem Protagonisten aus Schultern, Ohren oder Scheitel wachsen. Gerade bei Politiker:innen und in kontroversen Situationen werden solche Signale „mit-gelesen“ und beeinflussen die Rezeption. Klartext: Steht ein Politiker von einem Notausgang-Schild entsteht für mich der Eindruck, er suche eine Ausrede, einen „Notausgang“ aus seiner möglicherweise misslichen Situation. Dasselbe bei „Fluchtweg“ oder Feuerlöschern. Eine solche „Notsituation“ verarbeite ich dabei unbewusst mit und die Aussage der Auskunftsperson interpretiere ich unbewusst häufig mehr oder weniger als Panik-Handlung.
Als Mensch, der viel liest, muss ich natürlich auch Texte, die im Bild vorkommen, fast schon zwanghaft lesen. Und glaubt man der Statistik, bin ich damit nicht alleine. Fast alle alphabetisierten Menschen lesen Texte im Bild. Und dazu gehören neben Namens-Inserts auch „Eingang“, „Ausgang“, „Notausgang“, „Fluchtweg“, „Zutritt verboten!“ und was es sonst noch in Bildern zu lesen gibt. Meine Lese-Aufmerksamkeit konkurriert dabei natürlich mit der Verbalaussage der Auskunftsperson.
Das nimmt mir angesichts oftmals ohnehin prekärer Rezeptionsbedingungen die Chance, die Kernaussage eines Statements sicher und ohne Missverständnisse aufzunehmen. Dann bleibt für mich – wenn überhaupt – oft nur eine verstümmelte oder ins Gegenteil verdrehte Botschaft hängen. Schade um den Aufwand, denke ich dann, schade ums Geld und schade vielleicht um den guten Ruf eines Produkts, eines Unternehmens oder eines Menschen.
Unbewusste Signale im Bild, die das Publikum für blöd verkaufen
Ich liebe die Natur und bin daher sehr gern und so oft es geht in der wilden Natur unterwegs. Bevorzugt in Auwäldern, die ja mittlerweile auch im Mainstream als der Inbegriff von „wertvoll“ und „schützenswert“ wahrgenommen werden.
Natur als solche wird auch in der Werbung und in der Unternehmenskommunikation als Chiffre für verantwortungsvolles Handeln und Wirtschaften verwendet. Das Ganze häufig garniert mit dem Sympathieträgerbegriff „Nachhaltigkeit“.
Jetzt weiß ich allerdings als _tatsächlicher_ in-der-Natur-Herumlaufer, wie sich so ein heißer Sommertag in einem Auwald anfühlt. Nämlich für mich zwar hochinteressant, dabei aber auch unappetitlich verschwitzt, von Gelsen zerstochen und ständig in Gefahr, die Schuhe in beinahe knöcheltiefem Gatsch zu verlieren. Umso mehr hat mich ein Social-media-Video einer Bank erstaunt, das nachhaltiges „Green Investment“ bewerben wollte.
Und zwar so: behend und leichten Fußes flanieren in dem Video drei attraktive, junge Damen in hellen Business-Hosenanzügen durch hohes Schilf und Auwald-Vegetation, scherzen miteinander, klappen ihre Laptops auf Schreibtischen mitten im Schilfdschungel auf und zeigen auf auffliegende Vögel, die sich in der Unschärfe eines dunstig sommerlichen Himmels verlieren. Durchaus schön gefilmt. Allerdings in meiner Wahrnehmung inhaltlich und von der Anmutung her Lichtjahre an jeglicher realen Situation vorbei, die ich auch nur im Entferntesten mit Nachhaltigkeit assoziieren könnte.
Was müssen sich da wohl Menschen denken, die sich mit Nachhaltigkeit tatsächlich auseinandersetzen und die möglicherweise wissen, wie sich hardcore-Natur anfühlt. Fühlen sie sich von diesem Video auch so verarscht wie ich, weil es so unglaubwürdig und kilometerweit vorbei an der tatsächlichen Idee von Nachhaltigkeit, daherkommt?
Ich denke, die Bank hat sich mit dieser Inszenierung nichts Gutes getan. Entsprechend rasch, war das Video auch wieder verschwunden.
Unbewusste Signale im Bild und die Glaubwürdigkeit
Ähnlich an der Zielgruppe vorbei wie die Business-Anzug-Frauen im Auwald, sehe ich aktuelle Out of Home Bankenwerbung für Altbau-Sanierungskredite. Da wird ein sehr junges, attraktives Pärchen abgebildet, das direkt die Betrachter:in anblickt. Gut gestylt, sauber in casual Chique gekleidet und ein wenig gelangweilt; jedenfalls aber recht chillig. Im Hintergrund unscharf ein Altbau im Zustand der Sanierung. Super schön, sympathisch, schon alleine aufgrund der aktuell überwältigenden Frequenz im öffentlichen Raum ein Hingucker. Aber, was sagt mir das Bild mit dem Text? In meiner Wahrnehmungswelt bin ich da ziemlich weit weg von Renovierung eines Altbaus. Noch dazu, weil ich da selber Erfahrungen damit habe, die mir alles andere als chillig in Erinnerung sind.
Zugegeben: die Sujets mit jungen Leuten, die sich eine WG mit IKEA einrichten, von oben bis unten mit Farbe bekleckert, sind abgelutscht und holen wahrscheinlich eine Gen Z nicht unter den Kopfhörern hervor; aber nur durch hübsch und ein wenig gelangweilt Schauen, wie es das Plakat suggeriert, wird vermutlich auch unter aktuellen Umständen kein Althaus saniert. Trotz Kredit und Verweis auf die Geschichte eines Hauses. Wobei natürlich die Frage offen bleibt, wie viele durchschnittliche junge Leute sich den Kauf eines Hauses leisten können. Kredit hin oder her.
Das Spiel mit unbewussten Signalen in Spielfilmen
Ein Film, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, weil er so gekonnt und charmant mit dem Thema „Glaubwürdigkeit“ umgeht, ist der Streifen „Sideways“ aus dem Jahr 2004 in der Regie von Alexander Payne.
Hier der Link zum deutschsprachigen Trailer.
Die an sich einfache Story erzählt von einer Weinreise, die ein Englischlehrer und erfolgloser Literat mit einem Freund aus College-Tagen zu dessen Junggesellenabschied unternimmt. Während Miles, der Englischlehrer tatsächlich an Wein interessiert ist, will Jack, ein drittklassiger Schauspieler in Werbeclips, vor seinem ehelichen Treuegelöbnis noch möglichst viel mit der Damenwelt erleben.
Besonders eine Szene in einem angesagten Weingut ist mir in Erinnerung. Die Fassade der Exklusivität des Weinguts wird mit einem einzigen, eher beiläufigen Zwischenschnitt gekonnt konterkariert. Während sich offenbar betuchte Kundschaften mit vermeintlicher Kennermine elegant und im Zeitlupentempo durch die Szenerie bewegen und ein Live-Gitarrist Rodrigo-Kompositionen als Untermalung zum Besten gibt, entlarvt ein Blick auf Arbeiter im Hintergrund, wie sie aus etlichen Tankwägen Wein umpumpen, die exklusive Marketing-Masche als Massenproduktion.
Selten wurde in der Zeit vor Donald Trump und Corona- und Klimaleugnern sowie Flat-Earthern das Thema Glaubwürdigkeit im Film so humorvoll entlarvend abgehandelt wie in der Episode, als die attraktive Stephanie, die Jack mit Treueschwüren ins Bett gebracht hat, mitbekommt, dass dieser ja knapp vor seiner Hochzeit steht. In einem Wutanfall bricht sie ihm mit ihrem Motorradhelm das Nasenbein. Um vor seiner Braut zu Hause das gebrochene Nasenbein samt beeindruckendem Nasenverband zu rechtfertigen, fährt er kurzerhand das Auto seines Freundes an einen Baum. Ein Autounfall würde für die nötige Glaubwürdigkeit zuhause sorgen.
Was sich jetzt wie Klamauk liest, ist, neben tatsächlich urkomischen Szenen, ein subtil gezeichneter Film mit vielen Feinheiten. Schon alleine das Thema „Klopfen an der Tür“, das sich mit subjektiver Kameraführung leitmotivisch durch die Beschreibung von Miles zieht, ist bemerkenswert und wird im Blogartikel, der das Thema „Dramaturgische Klammer“ behandelt, noch einmal aufgegriffen werden.
Schlussbemerkung
Nur zur Erinnerung: unser Unbewusstes ist ein sehr feines Instrument, das sehr schnell innerlich Alarm schlägt, wenn etwas „nicht stimmt“, also unglaubwürdig ist. Das können ganz feine Inkongruenzen sein. In einer Bild-Text-Schere, in der Mimik einer dargestellten Person, in einem entlarvenden Zwischenschnitt, in einer Einstellung, die die Erfahrungswelt der Zuschauer:innen Lügen straft, sofern es sich nicht um deklarierte Märchen oder Phantasiegeschichten handelt.
Wenn wir verhindern möchten, dass unser Publikum geistig aussteigt, dann wären wir gut beraten, wenn wir glaubwürdig filmen.