Querformat – Hochformat oder Quadrat?
Erinnerst du dich? Als du klein warst und Geheimnisse ausspionieren wolltest, waren halb angelehnte Türen oft der Schlüssel zum Erkenntnisgewinn. Spannend natürlich ohnehin. Und wenn du an ein bestimmtes Ereignis in deiner Kindheit denkst, bei dem du durch den Spalt einer angelehnten Tür geblinzelt hast, voller Angst, dabei erwischt zu werden, dann geht, wenn du ehrlich bist, auch heute noch dein Puls ein wenig in die Höhe.
Du merkst schon, schmale Türspalte, die etwas verbergen, was du sehen möchtest, haben etwas Aufregendes an sich.
Es gibt kaum einen Krimi, der etwas auf sich hält und der auf eine Szene in einem Wald verzichtet.
Wenn, nur als Schemen wahrnehmbare, Menschen zwischen Baumstämmen huschen, wenn die Kulisse der Baumstämme keine wirkliche Orientierung zulässt und du als Zuschauer:in jederzeit mit einem Schreckmoment rechnen musst, weil hinter einem Baum das Monster, der Mörder oder bloß ein verkannter Helfer hervorspringt. Hauptsache Spannung und ein Schauer, der über den Rücken jagt. Das ist das Geheimnis hochformatiger Bildausschnitte.
Wie entspannend dagegen ein Panoramabild aus einem 60er-Jahre-Western, das den Schauplatz in poetischem Licht festlegt und beschreibt. Noch weit und breit kein Hinweis auf eine Gefahr, die bald kommen wird. Oder erinner‘ dich an die Anfangsszene von Werner Herzogs „Nosferatu“-Verfilmung. Zwei junge Katzen spielen im Breitwandformat auf einem Biedermeiermöbel. Ein Bild der Idylle. Das ist – aus dramaturgischer Sicht – die ideale Ausgangslage für den Aufbau eines Bedrohungsszenarios, weil es auf einem extrem entspannten Level aufsetzt.
Du siehst schon, worauf ich hinaus will: es geht darum, zu erkennen, was bestimmte Bildformate mit unserer Wahrnehmung machen.
Eine Vielfalt von Bildformaten – Wirkung und dramaturgische Sinnhaftigkeit
Natürlich kann man mit einem hochformatigen Bild einen Menschen in seiner Gesamtheit besser darstellen. Ich erinnere mich an ein Projekt bei dem wir anlässlich einer Landesausstellung jeden Tag eine:r anderen Bewohner:in der Gemeinde eine Videokamera in die Hand gedrückt und sie aufgefordert haben ihre Eindrücke zu filmen bis der Datenträger voll war. Gedacht war das Projekt als Dokumentation aus der Sicht der betroffenen Gemeindebürger:innen und schlussendlich wurde das gesamte Rohmaterial auch erfolgreich aufgearbeitet, beschlagwortet, archiviert und zu einem Film verdichtet.
Eine Teilnehmerin hatte dabei ihre Nachbar:innen in ihrem Video zur speziellen Ausnahmesituation in der Gemeinde befragt und demgemäß die kleine Handkamera im Hochformat verwendet. Das war im Gesamtkontext außergewöhnlich, aber im Rahmen ihrer Vermittlungsabsicht natürlich schlüssig.
Bildformate im Lauf der Filmgeschichte
Schauen wir uns die Ausgangslage der bildlichen Darstellung von Menschen, Landschaften und historischen Szenen an. Die englischen Ausdrücke für Hoch- oder Querformat legen es ja schon nahe: „portrait“ für Hochformat und „landscape“ für das Querformat.
Im Film hat sich – ausgehend von einem beinahe quadratischen Format im Lauf von etwas mehr als 100 Jahren das querformatige Bild als Standard etabliert. Zu Beginn war es – wie erwähnt – das annähernd quadratische Format weil die Transportperforation des Filmstreifens ganz zu Beginn an beiden Seiten des Celluloid-Streifens verliefen. Dieses Bildformat bot relativ wenig Platz zur Darstellung von szenischen Abläufen. Das Ergebnis waren in der Anfangszeit des Films sehr statische Szenen, die dem Abfilmen einer Guckkastenbühne entsprachen. Aus der Sicht des Publikums bedeutete das enge Bildformat eine Konzentration auf das Wesentliche. Auch das Bildformat der Wochenschauen im Kino (gewissermaßen die Vorläufer der späteren TV-Nachrichtensendungen) haben ganz zu Beginn noch nicht das wenig später übliche 4:3-Bildformat. Ein damals (relativ) neues Medium und der Transport von Neuigkeiten haben zu einer Konnotation dieses Formats mit erhöhter Aufmerksamkeit geführt. Auch der sehr junge Film „Morgen ist auch noch ein Tag“ von Paola Cortellesi verwendet in den erste Szenen dieses Bildformat um die unmittelbare Nachkriegszeit und die damals üblichen Bildformate zu zitieren.
Anachronistischer Weise übernimmt Instagram in den 2010er-Jahren das quadratische Bildformat als Standard für die zunehmende Bilderschwemme in den Sozialen Medien und sorgt dabei einerseits mit der „Kachelbarkeit“ der Bilder in den Timelines, andererseits mit der Beschneidung üblicher Bildformate sowohl für einen Hype als auch für Ablehnung.
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Bildformat 4:3 – der jahrzehntelange Goldstandard
Mit der Entwicklung der Technologie wurde das Trägermaterial weniger empfindlich dafür aber belastbarer. Die Transportperforation wurde auf eine Seite reduziert und sukzessive verkleinert, was in einer Vergrößerung des Bildformats resultierte. Das beliebte und aus Sicht des „Goldenen Schnitts“ (siehe dazu den entsprechenden Blogbeitrag…) harmonischere 4:3-Bildformat war geboren. Bis zur Jahrtausendwende war dieses Bildformat der Standard im Fernsehen und in der Videoproduktion.
Angesichts der technischen Möglichkeiten – Röhrenfernseher mit geringer Bildschirmdiagonale – war dieses Format prägend für die mediale Sozialisation von Boomern wie mir und auch später noch der Generation der Barbapapa- und Teletubbies-Konsument:innen.
Die Welt im überschaubaren annähernd DIN A4 Querformat. Der Rahmen gut abgesteckt. So wie die gesellschaftlichen Konventionen. Ein Bildformat, das die formale Harmonie der Darstellung oftmals auch zur Maxime der Berichterstattung im TV machte und den Exzess – zumindest was dessen Auslieferung in die Haushalte – im Zaum hielt.
cinemascope® - das amerikanische, politische Bildformat
Als Ergänzung zum 4:3 Bildformat wurde in den 1950er-Jahren des letzten Jahrhunderts und somit in den goldenen Zeiten Hollywoods das extrabreite Bildformat „cinemascope®“ entwickelt.
Einerseits beeindruckte das monumentale Format in den speziell ausgestatteten Kinos die Zuschauer:innen. Man blickte gebannt auf die Leinwand und es entstand so etwas, was man als einen Vorläufer immersiven Erlebens bezeichnen könnte.
Zweitens ermöglichte das Format mehrere Aktionsschwerpunkte (siehe „Bildfenster“) im Bild. Das Publikum saß also nicht mehr nur gebannt im Kino und blickte auf einen Punkt auf der Leinwand, der die Handlung ohne Kopfbewegung in ihrer Gesamtheit erfassbar machte, sondern musste den Kopf von einer Seite zur anderen bewegen, um die Handlung zu verfolgen. Im Sinn der _Synästhesie_ eine Möglichkeit, das Publikum intensiver zu beteiligen. Man konnte das Publikum im Sinn des Wortes „bewegen“.
Zum Dritten ermöglichte das extrem breite Bildformat beeindruckende Landschaftsaufnahmen, die im Sinn der subliminalen Politisierung des Kinos ganz im Sinn der Politik des „Kalten Kriegs“ waren. Also in der Zeit des Wettrüstens zwischen den USA und der damaligen UdSSR nach dem 2. Weltkrieg. Amerika sollte überwältigend, einzigartig und monumental dargestellt werden. Man sollte stolz sein auf dieses Amerika und patriotisch.
Dass der Kontrast zwischen diesem ungewöhnlich weiten, also extrem beruhigendem Bildformat und der Spannung der folgenden Handlung eine größere Fallhöhe ermöglichte, machte die Filme im Kino trotz oft einfach gestrickter Handlung und vorhersehbarer dramaturgischer Entwicklung für das Publikum subjektiv spannender als Filme im Fernsehen.
16:9 – das friktionsfreie Bildformat
Der Jahrtausendwechsel brachte mit dem HD-Video-Standard und größeren Bildschirmen das 16:9-Bildformat und damit eine Annäherung an das schon seit den 1990er-Jahren auf dieses Bild-Seitenverhältnis umgestellte Kinoformat. Im Fernsehen vermied man damit „Letterbox“-Balken oberhalb und unterhalb des eigentlichen Bildausschnitts. Für das Publikum ergab sich dadurch eine höhere Identifikation mit dem Gesehenen im Sinn einer „Synästhesie“, also einer – wenn auch minimalen – Kopfbewegung. Die Bilddramaturgie konnte nun Schwerpunkte im Bild besser auf Hauptbildfenster links und rechts verlagern und somit auch mehr Dynamik in eine Handlung bringen. In Summe ist dieses Bildformat somit der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den Möglichkeiten der Bilddramaturgie, bildpolitischer Beschwichtigung, Publikumsbeteiligung und globalisierten technischen Standards. Gewissermaßen das streamline-Bildformat, das nirgends besonders aneckt, aber emotional gut die visuelle Kehle runter geht wie ein angenehmer Drink.
Hochformat-Videos: ein Bildformat das aufregt
Die jüngste Entwicklung ist dem Smartphone geschuldet und einer Nutzung der damit einhergehenden Änderungen in der Aufmerksamkeitsökonomie.
Weil das Handy zumeist im Hochformat gehalten wird, weil im Zusammenhang mit dem Drang zur Bestätigung der eigenen Existenz mittels #Selfies die menschliche Gestalt (siehe „portrait“) der Nutzer:innen im Gegensatz zu Orten, Vorgängen, Handlungen, Geschehnissen in den Mittelpunkt gerückt ist, hat sich das Hochformat als neuer Standard etabliert. Nicht ganz, ohne Fragen nach dessen tieferem Sinn aufzuwerfen.
Das Hochformat hat – wie zu Beginn des Blogartikels geschildert – zur Folge, dass wir unbewusst in einen Zustand der Aufregung versetzt werden. Damit kann in Verbindung mit entsprechenden Algorithmen hervorragend die Aufmerksamkeit des Publikums bis hin zur Sucht gebunden werden. In Zeiten von Clickbaiting und Ranking-Algorithmen können damit sogar Nonsense-Videos monetarisiert, Fake -News verbreitet und radikalisierende Inhalte an Ahnungslose vermittelt werden. Effektiv: ja im Sinn eines auf Massenkonsum ausgerichteten Publikums. Hängen bleibt immer irgendwas. Umfassend Sinn vermittelnd für ein seriös Information suchendes Publikum: eher nein. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, heißt es in einem alten Sprichwort, das noch immer Gültigkeit hat. Aufregung ist der kleine Bruder der Angst. Als Basis von Entscheidungen für spontane Dates passt Hochformat ja vielleicht. Für längerfristige Beziehungen, für’s Kaufen, für’s Wählen oder für politische und gesellschaftliche Entscheidungen und Meinungsbildung wohl eher nicht. Es sei denn, man will bewusst unseriös sein…
Welches Bildformat für Videofilmer?
Wie du gesehen hast, wirken bestimmte Bildelemente unterschiedlich auf die Wahrnehmung von Videobildern. Hohe, schmale Bildausschnitte oder Bildfenster regen tendenziell auf, querformatige Bildkompositionen, die besonders die Breite betonen, wirken dagegen eher beruhigend und Bildausschnitte, die sich in der Komposition an das Quadrat annähern können die Konzentration steigern.
Du kannst somit mit Hilfe von Caches, also mit informationslosen Verblendungen in der Bildkomposition alle Bildschirmformate bzw. deren Wirkungen in deinen Videos bewusst herstellen.
Denk‘ an die Selbstmord-Szene aus „Der Club der toten Dichter“. Das Geschehen – der Griff in die Schublade mit der Pistole des Vaters – wird durch drei halb angelehnte Türen auf einen gerade einmal 5% des Bildausschnitts eingeengten, schmalen senkrechten Streifen reduziert. Höchste Spannung. Höchste Konzentration auf das Wesentliche.
Du kannst breitformatige Bildausschnitte komponieren wenn du Entspannung vermitteln willst und du kannst mit einer symmetrischen Einengung des Bildausschnitts Konzentration auf Information legen.
Und natürlich kannst du auch Hochformat-Videos für die Sozialen Medien machen. Es wird sich wohl auch für dieses Bildformat eine Art von sinnstiftender Dramaturgie entwickeln. Aus der Sicht der Wahrnehmungspsychologie bedarf es da allerdings noch einiger dialektischer Kompetenzen.