Die russische Demonstrantin gegen Polizeigewalt blickt rechts aus dem Bild. Sie hat wenig "Blickluft". Diese Darstellung bedeutet, dass sie wohl wenig Chance auf Durchsetzung ihrer Forderungen hat.

Bildfenster in Videos – Für Todgeweihte die Bildmitte.

Es ist nicht egal, wo im Bild eine Person zu sehen ist. In der Bildgestaltung für Webvideos ist es wichtig, den handelnden Personen eindeutige Positionen in entsprechenden Bildfenstern zuzuweisen damit die unbewusste Wahrnehmung ihrer Charaktere bei den Zuschauer:innen unterstützt wird. Der Blogartikel hilft dir, die Wahrnehmung deiner Zuschauer:innen in die richtige Richtung zu führen.

Inhaltsverzeichnis

Es ist nicht egal, wo im Bild eine Person zu sehen ist. In der Bildgestaltung für Webvideos ist es wichtig, den handelnden Personen eindeutige Positionen im Bild zuzuweisen damit die unbewusste Wahrnehmung ihrer Charaktere bei den Zuschauer:innen unterstützt wird. Der Blogartikel hilft dir, die Wahrnehmung deiner Zuschauer:innen in die richtige Richtung zu führen.

Dass links die Vergangenheit und rechts die Zukunft liegt, das haben wir ja schon besprochen. Was das allerdings für die Positionierung eines „Talking Heads“ im Bild bedeutet, darum geht es in diesem Blogbeitrag. Und vor allem: welche Bedeutung hat die Mitte des Bildes und dazu der Blick in die Kamera? Das Thema können wir besprechen, indem wir entweder 400 Jahre in der Kulturgeschichte zurückrudern, oder indem wir ein Print-Magazin aufschlagen und uns überlegen, wohin wir als Erstes schauen.

Aber alles der Reihe nach! Die Fakten, warum du dieses Wissen für deine Videos brauchst und die Tipps, wie du dieses Wissen am besten einsetzt, erfährst du im Blogbeitrag.

Aufmerksamkeit führen mit Bildfenstern in Videos – Nimm die Zuschauer:innen beim Blick

Wohin schaust du zuerst, wenn du ein Printmagazin aufschlägst?

99% der Europäer schauen dabei zuerst in die obere Blatthälfte des rechten Bogens. Daher hat sich diese Position als für Werbung, Editorial und andere Inhalte mit hohem Informationswert als wichtig und interessant erwiesen. Erst dann gleitet der Blick auf den linken Bogen und von dort beginnt dann die systematische Erfassung der Story.

Weil Film, Fernsehen und Videos nichts anderes sind, als die Fortsetzung der guten alten Zeitung mit anderen Mitteln, gilt diese Regel natürlich auch weitgehend für das Medium Video. Man spricht von den Haupt-Bildfenstern. Genauer gesagt vom rechten und vom linken Hauptbildfenster.

Damit kannst du spielen, indem du die Blicke deiner Zuschauer:innen führst. Nach links, um von dort vielleicht eine gedankliche oder zeitliche Reise in die Vergangenheit zu starten; nach rechts, um etwa mit einem „Bildrätsel“ als Erstes die Blicklust zu kitzeln und das Interesse deiner Zuschauer:innen zu wecken oder aufrechtzuerhalten.

Dabei hast du selbstverständlich immer dein Wissen um die Bedeutung der Handlungsrichtungen im Blick, mit denen du – ganz unabhängig vom Schnittrhythmus – die Dynamik einer Geschichte (und sei es nur ein kleines Produktvideo) steuern kannst.

Ein weiterer Trick erschließt sich, wenn du den Proportionen des Bildinhalts ein wenig Aufmerksamkeit schenkst.

In der Renaissancezeit vor ca. 400 Jahren hat man begonnen, für Architektur und Malerei die Harmonie der Proportionen zu erforschen. Was dabei herausgekommen ist, war der sogenannte „Goldene Schnitt“. Eine Formel, mit der das ideale Verhältnis von Breite zu Höhe sowie der räumlichen Gliederung berechnet werden konnte.

Für unsere Videos bedeutet das, dass zum Beispiel die Hauptbildfenster in den als besonders harmonisch wahrgenommenen Achsen im Goldenen Schnitt liegen. Egal ob im alten Format 4:3, ob 16:9 oder im Breitwandformat „Cinemascope“. Die Formel findet immer den „richtigen“ Punkt, nämlich den, den wir als „harmonisch und stimmig“ empfinden.

Das magische Bildfenster - eine uralte Weisheit

Es gibt unzählige mehr oder weniger gute Bilder, die den „Goldenen Schnitt“ veranschaulichen. Dieses hier stimmt so halbwegs und ist zumindest hübsch. ©pixolum

Nicht nur Harmonie – pack‘ Dissonanzen rein

Weil aber immer nur harmonisch mit der Zeit fad wird, können wir ein bisschen Spannung in die Gestaltung unserer Videos bringen. Zum Beispiel, indem wir „unfertige“ bzw. „unharmonische“ Bilder einbauen und diese im Verlauf der jeweiligen Einstellung oder Sequenz in Richtung Harmonie auflösen. Oder aber eben unharmonisch weiterführen und damit ein diffuses Missempfinden erzeugen. Das kann – etwa in der Zuschreibung des Charakters bestimmter handelnder Personen – für die Dramaturgie durchaus erwünscht sein.

Unharmonische Bilder; das können Einstellungen sein, die etwa die handelnden Personen oder Gegenstände außerhalb der Idealpositionen zeigen, möglicherweise leicht verkantet oder mit kurzen, leichten Unschärfen versehen. Bildgestaltungen also, bei denen für unsere Wahrnehmung „irgendwas nicht stimmt“.

Die russische Demonstrantin gegen Polizeigewalt blickt rechts aus dem Bild. Sie hat wenig "Blickluft". Diese Darstellung bedeutet, dass sie wohl wenig Chance auf Durchsetzung ihrer Forderungen hat.
Das Bild einer russischen Demonstrantin zeigt, dass die nicht viel Blickluft (also wenig Aussicht auf Erleichterung) sieht (Blick nach rechts, obwohl sie in der rechten Bildhälfte steht). © valery-tenevoy-vm0FcEPR3lk-unsplash

Wenn im Bildfenster die Blickluft fehlt – dann geht nichts mehr!

Eine dieser bewussten Irritationen ist die fehlende „Blickluft“ einer Person.

Das wissen wir ja schon, dass eine Figur, ein „Talking Head“ eher als proaktiv, progressiv und zukunftsorientiert wahrgenommen wird, wenn er nach rechts schaut bzw. agiert. Andererseits eher als reflexiv, rückwärtsgewandt, konservativ bei einer Handlungsachse nach links.

Was aber passiert, wenn wir einen nach rechts agierenden Talking Head ins rechte Hauptbildfenster setzen? Dann spricht/agiert er/sie aus dem Bildrand hinaus. Es fehlt die „Blickluft“. Unsere Wahrnehmung interpretiert das als Chancen-, Ausweglosigkeit und fehlende Perspektive. Egal ob proaktiv nach rechts oder reflexiv nach links; wenn den Akteuren die Blickluft fehlt, wissen die Zuschauer:innen, dass er/sie zumindest in der aktuellen Szene scheitern wird. Sie stehen – buchstäblich – mit ihrer Weisheit an.

Besonders häufig und störend ist das etwa bei Mitschnitten von Round-Table-Gesprächen oder Diskussions-Panels wahrzunehmen. Dabei müssen die teilnehmenden Personen sowohl nach links als auch nach rechts agieren/sprechen. In einem solchen Fall helfen nur mehrere Kameras, aufmerksame Kameraleute, die ihre Kameras nachführen und den Akteuren Blickluft verschaffen sowie eine aufmerksame Bildregie.

Filmstill aus „Good Night and Good Luck” (© George Clooney, 2005). Hier steht der Redakteur Hollenbeck in der “Dead Man Position”. Sein letzter Auftritt im Film, bevor seine Kolleg:innen die Nachricht von seinem Selbstmord erreicht.

Dead Man Position –

im Bildfenster zeigen, wer keine Chance mehr hat

Wenn nach links proaktiv, nach rechts retroaktiv wahrgenommen wird, wie wird dann wohl eine Position in der Bildmitte wahrgenommen? Erraten: als neutral. Diese Person will nichts, kann nichts ändern, steht den Dingen neutral oder machtlos gegenüber. Im Film spricht man von der Dead-Man-Position. Schaut uns ein Schauspieler aus der Bildmitte heraus an oder agiert er überwiegend in der Bildmitte bzw. in die Bildmitte, dann wissen wir, dass er bald stirbt. Besonders deutlich im Film „Good Night and Good Luck“, bei der Rollenführung des Redakteurs Hollenbeck, der schließlich Selbstmord begeht.
Eine Ausnahme sind Bundespräsident, Queen oder König. Sie wollen schließlich alle Bürger:innen ansprechen. Er/sie will sich dadurch keinen erkennbaren Bias geben und agiert demgemäß aus der neutralen Mitte des Bildes. Und er/sie schaut dabei direkt in die Kamera. Das heißt: Er/sie nimmt direkten Augenkontakt mit uns auf.

Ich schau Dir in die Augen, Kleines!

Was einem Bundespräsidenten, der Queen oder dem King gestattet ist, muss aber nicht für jeden Staubsaugervertreter gelten. Bei manchen Rezipient:innen unterschreitet das nämlich ihre individuelle Intimdistanz. Das gilt vor allem bei Verkaufs-Videos. Also im Normalfall lieber dosierter Einsatz. Es sei denn, es ist dramaturgisch erwünscht, dass sich die Zuschauer beobachtet (oder persönlich angesprochen) fühlen.

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Christian Schrenk

Christian Schrenk ist Diener zweier Katzen und arbeitet seit seiner Jugend mit audiovisuellen Medien. Davon mehr als 30 Jahre für den ORF. Bildbedeutung und Bildwirkung sind seine Obsession. Er hat Film- und Drehbuchpreise sowie Preise für transdisziplinäre Projekte im Bereich Bildung, Kunst und Soziales erhalten und ist Träger der Kulturmedaille der Stadt Linz. Er hat die Hände gern in der Erde seines Gartens, betrachtet als Pilot aber auch die Welt von oben und erhält/restauriert klassische Fahrzeuge der 1960er und 1970er-Jahre.

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