Video-Dramaturgie: Warum Mohammed immer nach links reitet
Blickrichtungen und Handlungsrichtungen sind wichtig bei der Bildgestaltung von Webvideos, weil sie unserem Unbewussten helfen, Charakter und Intentionen von handelnden Personen einzuordnen. Dieser Blogartikel hilft dir, die Message deiner Videos auch auf der Ebene des Unbewussten besser an deine Zielgruppe zu bringen.
Vielleicht erinnerst du dich ja an deinen ersten Griechenlandurlaub. Und daran, dass die Griechen den Kopf schütteln, wenn sie „Ja“ sagen. Sehr irritierend für dich im ersten Moment. Genauso irritiert es uns, wenn im Video die „Richtung nicht stimmt“. Und es gibt dicke Bücher, in denen Forscher im Dienst von Hollywood aufgeschrieben haben, wie Blick- und Handlungsrichtungen bei Dialogen und Lauf- und Fluchtrichtungen etwa bei Verfolgungsjagden von Zuschauer:innen aufgenommen werden. Daher ist es für uns Videofilmer:innen nützlich, zu wissen, wie unser Publikum tickt. Das Wichtigste dazu erfährst du in diesem Blogartikel.
Aussage unterstützen – Ausschlaggebend bei der Bildgestaltung für Webvideos ist die Leserichtung.
Ausschlaggebend für die Wahrnehmung von Neuigkeitswert – also von allem, was neu und bisher nicht bekannt ist – ist in Mitteleuropa die Leserichtung. In Eurasien und im angloamerikanischen Raum liest man von links nach rechts. Das bedeutet, dass das jeweils Neue rechts – also in Leserichtung – zu finden ist. Alles, was links ist, liegt also in der Vergangenheit, ist schon bekannt und hat keinen oder nur wenig Innovationsgehalt.
Das bedeutet, dass Handlungsachsen, die nach rechts tendieren, bevorzugt als „interessant“, „innovativ“, „progressiv“ gelesen werden. Also versehen mit jenen Attributen, denen man eine Weiterentwicklung der Handlung zuschreibt oder dies davon erwartet.
Diese Denk- und Bewertungsprozesse finden im Unbewussten statt und beeinflussen damit unbewusst die Erwartungshaltung der Zuschauer*innen bzw. die Bewertung als „vorwärts gerichtet“.

Die richtige Blickrichtung bei der Bildgestaltung für Webvideos – links liegt die Erinnerung
Handlungsachsen, die nach links tendieren, werden im Gegensatz dazu eher als „bekannt“, „bewahrend“, „traditionell“ oder auch „rückwärtsgerichtet“ interpretiert. Diese Tatsache kann bei der Gestaltung von Videos wertvoll werden. Szenen, die diese Richtung betonen, können Ruhe, Sicherheit, Stabilität oder bewahrende Aspekte vermitteln und damit etwa beim „Prinzip von Innovation und Redundanz“ (siehe entsprechendes Kapitel im Blog) sehr hilfreich bei der Festigung neuer Inhalte sein.
Was bedeutet das aber für deine Videos?
Die richtige Blickrichtung bei der Bildgestaltung für Webvideos – In die Zukunft geht’s nach rechts
Personen und Gesichter, die – aus dem Blickwinkel der Betrachter*innen – nach rechts schauen, werden _tendenziell_ als innovativ, progressiv, zukunftsorientiert gelesen. Im Kapitel über Bildfenster hast du ja schon etwas über die „Blickluft“ und die „Glaubwürdigkeit durch Augenkontakt“ erfahren. In deinem Video sollte also jemand, der/die etwas Neues, Interessantes, Zukunftstaugliches et c. präsentiert, eher nach rechts (aus der Sicht der Zuschauer*innen) schauen bzw. aufgenommen sein.
Personen dagegen, die (aus der Sicht der Zuschauer*innen) nach links blicken, werden _tendenziell_ als bewahrend, konservativ, beruhigend, rückwärtsgewandt oder auch reflexiv, erinnernd wahrgenommen.
Mit einem entsprechenden Setting kannst du damit spannende, dynamische Dialoge gestalten und es deinen Zuschauer:innen erleichtern, dem Meta-Text der Sequenz zu folgen und ihn richtig zu interpretieren.
EIN BEISPIEL: Eine Reporterin will in einem Interview naturgemäß die Story voranbringen. Ihr Gegenüber, das zu Fragen aus der Vergangenheit befragt wird, erinnert sich und blickt im wahrsten Sinn des Wortes „zurück“. Naheliegend also, dass Du die Interviewerin von links nach rechts agieren lässt und die Auskunftsperson von rechts nach links.

Dasselbe gilt natürlich auch bei Spielhandlungen. Rollen, die etwas bewahren, beschützen, aufhalten wollen, agieren besser _eher_ von rechts nach links, während Rollen, die etwas verändern wollen, neugierig sind oder vor etwas flüchten, _eher_ links nach rechts als Hauptrichtung ihrer Aktionen haben.
Diese Aussagen gelten als tendenzielle Richtschnur und dürfen keineswegs als Gestaltungsvorschrift gesehen werden! Aber wir erleichtern unseren Rezipient*innen das Lesen des Meta-Texts, also der unterschwelligen Interpretation des Gesehenen und Gehörten. Denn wir wissen ja, dass nur zwischen 10 und 20 % dessen, WAS gesagt wird, in unserem Gedächtnis hängen bleibt, unsere Bereitschaft, etwas zu glauben und uns etwas zu merken aber zu einem Großteil vom WIE der Präsentation (Körpersprache, Stimme, Gestik) abhängt.
Schau dir einmal politische Plakate an. Wenn es dabei um die Zukunft geht, wird von links nach rechts gezeigt, geschaut, gedeutet, agiert. Geht es allerdings ums Bewahren, Verhindern, um ein Zurück in die „gute alte Zeit“, dann ändert sich die Richtung auf rechts → links.
Und wer sich im arabischen Raum umtut und versucht, die Bilder in Politik und Religion ikonografisch zu entschlüsseln, wird feststellen, dass Innovation, Fortschritt und Erneuerung dort von rechts nach links konnotiert ist. Es wird ja auch von rechts nach links geschrieben und gelesen.
Symbolisierte Flugzeuge als Verzierungen der Fenstergitter eines „Hadschi“, also einer Person, die schon eine „Hadsch“ – eine Pilgerfahrt nach Mekka – absolviert hat, starten von rechts nach links und die offiziellen Bilder der Machthaber blicken überwiegend nach links. Da ist es auch klar, dass Mohammed auf den wenigen Darstellungen, die es von ihm gibt, auch meist nach links reitet.
