Bilddramaturgie in Webvideos – damit unser Unbewusstes weiß, was als nächstes passiert
Dass unser Unbewusstes Handlungsrichtungen unterschiedlich einordnet das weißt du ja schon. Nach rechts – also in unsere Leserichtung – schaltet das Unbewusste auf Neugier auf das Zukünftige, wenn es nach links geht, bereitet sich unser Unbewusstes eher auf Reflexion oder Rückblick vor.
Mit diesem Wissen kannst Du deinen Zuschauer:innen helfen, sich in der Handlung und in neuen Szenen zu orientieren. Das heißt, du kannst durch die Wahl deiner Bilder, durch den Bildaufbau und durch Handlungsrichtungen Signale ans Unbewusste setzen, die deinen Zuschauer:innen vermitteln: „Hallo, jetzt geht’s weiter, jetzt passiert gleich was!“ oder „Pass auf, jetzt kommt das Ende!“ Oder „Jetzt schließt sich ein Kapitel, etwas geht zu Ende, hier kommt eine Lösung auf die Protagonisten zu.“
Auch das weißt Du schon: die einzelnen Einstellungen, die Bilder, deren Aufbau und deren Gewichtung haben ein eigenes Vokabular, das Du einsetzen kannst, um deinen Zuschauer:innen, über den expliziten Text hinaus, deine Inhalte auch _visuell_ beizubringen. Alles, was du tun musst, ist das bisher Verstandene auch umzusetzen.
Visuelle Signale der Bilddramaturgie in Videos für einen Sequenzbeginn -Anfangsstereotyp
Auf das einzelne Bild übersetzt bedeutet das: wenn Du ein sogenanntes _Anfangsstereotyp_ setzen möchtest (also ein visuelles Signal dafür, dass jetzt etwas los geht, dass etwas Neues beginnt, dass gleich etwas passiert), dann besetze den linken Bildrand mit einem Cache ohne wesentliche Information. (Du weißt ja schon: alles, was im Bild ist, wird von unserem Unbewussten auch wahrgenommen.) Die einzige mögliche Aktionsrichtung ist nun also nach rechts, also grob gesprochen „in die Zukunft“.
Visuelle Signale der Bilddramaturgie in Videos für ein Sequenzende -Schlussstereotyp
Wenn du deinen Zuschauer:innen dagegen signalisieren möchtest: „Hallo, schließ‘ in deiner Erwartungshaltung ein Kapitel ab!“ oder „Mach‘ dich auf den Schluss gefasst!“, dann besetze den rechten Bildrand mit einem Cache ohne Information. Im Sinn unserer unbewussten Wahrnehmung gibt es also rechts (in der Zukunft) nichts Neues mehr. Das wird vom Unterbewusstsein deiner Zuschauer:innen akzeptiert.
Schau‘ Dir typische Western aus den 1950er und 1960er-Jahren an. Filme, die ihr Publikum intellektuell nicht überfordern wollten/konnten. In denen auch keine expliziten Spoiler vorkommen durften, aber sanfte (rein visuelle) Hilfestellungen für das Publikum, was es denn in den nächsten Szenen erwarten konnte.
Bei diesen Filmen (mitunter tatsächliche Meisterwerke) kann man es wohl darauf reduzieren: In einer der ersten Einstellungen reitet der Held (mit seinem Freund, der im Film natürlich sterben muss) auf die Kamera zu. Links im Anschnitt die Kante eines Hauses oder eines Baumstamms (dieser im späteren Verlauf des Films vielleicht schicksalsträchtig weil jemand an einem seiner Äste gehenkt werden soll. [siehe auch: Moment der letzten Spannung]). Also linke Bildhälfte besetzt, Aktionsrichtung nach rechts.
Nach getaner Arbeit (und dramaturgiebedingtem Verlust des treuen Gefährten) reitet der einsame Held von der Kamera weg; leicht nach links in den Sonnenuntergang während das rechte Bildviertel mit einem Cache besetzt ist (meinetwegen mit dem Baum vom Anfang; das wäre dann eine „dramaturgische Klammer“).
Visuelle Signale der Bilddramaturgie in Videos für ein abruptes Ende – Cliffhanger als Überraschungscoup
Du hast dich bestimmt schon einmal darüber geärgert, dass ein Film oder ein Musikstück ohne jegliche Vorwarnung (und anscheinend mitten im Flow) plötzlich zu Ende ist. Besonders deutlich und als schade empfunden in der entzückenden Komödie „Festmahl im August“ (Pranzo di Ferragosto) von Gianni di Gregorio (Mehr erfahren), oder beim Ende des ersten Teils von Bruno Dumonts Zweiteiler „P’tit Quinquin“ (Mehr erfahren) .
Die Erkenntnis, die du aus dem zweitgenannten Film ziehen kannst, ist der Hinweis darauf, dass man mit der bewussten Nicht-Vorbereitung auf ein Ende auch einen „Cliffhanger“ induzieren kann. So wie bei einem Musikstück, das mitten im Takt abbricht. Das lässt Fragen offen, das bedeutet einen „offenen Schluss“, damit lässt du die Zuschauer:innen mit ihren Gedanken allein und löst dadurch einen Denkprozess aus. Denn deine Zuschauer:innen wollen ein schlüssiges Ende. Und wenn du es ihnen nicht bietest, dann sucht deren Unbewusstes danach und stellt Fragen. Eine dieser Fragen ist dann häufig: „Wann gibt es eine Fortsetzung?“